Wozu brauchen wir den Staat?
Die neue Rolle des Staates in der Klimakrise und danach - vom Verwalten zum Gestalten

"Der Liberalismus ist tot - es lebe der Liberalismus." Als Baby Boomer bin ich in grenzenloser, egozentrierter Entwicklung sozialisiert worden. Freiheit als höchstes Gut hat sich in unser Gehirn gebrannt und dabei haben wir gesellschaftliche Freiheit und die Entfesselung der Wirtschaft gleich in einen Topf geworfen. So wenig Regeln, wie möglich. Frei, wie Schmetterlinge. Der Tellerwäscher als Vorbild und auf Wachstumsleistung programmiert.

Keine Grenzen. 

Die hat uns der Planet schon früh genug gezeigt, damals schon, immer wieder - immer stärker. Viele wollen sie heute immer noch nicht sehen. Freiheit über alles. Über alle Grenzen hinweg zur globalen Wirtschaft mit maximal optimierten Lieferketten quer über alle Kontinente und zurück. Internationaler Handel bringt Wohlstand ist die unbewiesene These ökonomischer Modelle, von Ricardo bis Friedman. Und nun auch jede Menge Probleme. Piketty zeigt uns dann auch noch, dass der Wohlstand nicht wächst, wenn der Kuchen wächst. Doch egal. Frei!

Dazu verzichten wir auf Regeln, schränken Gesetze ein, machen den Spiel-Raum der Wirtschaft immer weiter, größer und globaler. Weg mit der Kontrolle, runter mit der Verwaltung und zurück mit dem Staat. Privat und Markt dominieren die Globalisierung. Damit klappt alles. Dogma. Denken nicht nötig. Hinterfragen schon gar nicht. Vollgas auf Wachstum. Uns gehört die Welt. 

Stimmt nicht. Der Planet wird immer noch nicht Untertan und so müssen wir nun, in den 20-ern die Bremse ziehen, sehr bald dann die Notbremse. Bis zum Stillstand? Keine Angst davor, es wird uns Zeit zum Denken bringen. Endlich, wenn nicht zu spät. 

Doch wie fängt man die Milliarden Schmetterlinge wieder ein, wenn es regnet. Wenn sie sich so sehr dem Ziel der Freiheit verschreiben haben, dass sie die Hilferufe rundum nicht hören. Wie schützt man die Tiere vor dem Regen ohne ihnen die Lust aufs Fliegen zu nehmen. Keiner will "zurück in die Steinzeit" (Wirklich dummer Spruch).

Die neue Rolle des Staates in der (Klima)krise

In der Krise rufen nun viele nach Schutz, nach Gemeinschaft, Regeln und Verteilung. Nach dem Staat. Preisdeckel, Abschöpfung von Übergewinnen und Verstaatlichung sind völlig neue politische Themen in Europa und darüber hinaus. Vorbei ist der Ausflug der Schmetterlinge, wenn der Regen begonnen hat. Doch im Gegensatz zu den Schmetterlingen merken wir Menschen nicht, wenn es regnet und kehren nicht zurück. Wir glauben immer weiter an Wachstum und Kapital als Treiber des Wohlstandes. Und Freiheit. 

Unbestritten ist eine liberale Epoche vorbei. Doch die Weiterentwicklung von liberal soll nicht illiberal sein, sondern liberal und gemeinschaftlich. Für die kommenden Aufgaben müssen wir frei und innovativ sein und dennoch sorgsam und füreinander da.  Die Wende schaffen wir nur gemeinsam. 

Der neue Staat ist ein sorgender aber keiner, der sorglos mit den Menschen und Ressourcen umgeht. 

Der neue Staat ist einer, an dem sich die Bürger anlehnen und ausruhen, bis sie sich in dieser volatilen Zeit neu orientieren und in den neuen Bedingungen mit neuen Zielen und lustvoll neu starten. 

Neue Grenzen.

Der neue Staat hat neue Grenzen, nicht willkürliche Linienziehungen bei Friedensverhandlungen sondern gleiche Werte, Ziele, Wünsche und Zukunftsvorstellungen sollen uns verbinden ohne andere zu entbinden. Vielleicht auch ohne geografische Grenzen, die kennt das Internet schließlich auch nicht. Der neue Staat ist supranational, vielleicht sogar virtuell. 

Der neue Staat ist einer, der die Regeln neu definiert. Against all odds. Planet first. Wir sind der Untertan, so wollen wir es doch endlich begreifen(!) und unsere Regeln der Ökologie unterordnen. Doughnut Economics. Kate Raworth hat es uns doch so plakativ erklärt. 

Der neue Staat verwaltet nicht - er gestaltet. Unser Leben im 21. Jahrhundert wird anders, ziemlich anders. Und der neue Staat organisiert unser Zusammenleben, das wir "Wirtschaft" nennen. Neue Rahmen, neue Regeln, neue Ziele, neuer Wohlstand, neue Freiheit.

Für diese neue Rolle braucht es die besten Köpfe im Staat. Vertrauen und auch Lust auf Zukunft. Auch das ist neu. Diese neue Rolle und das passende Personal müssen die Verwaltungen von heute erst finden um unser Morgen zu gestalten. 


Alles anders?
Aber wie?